Sandkasten Taktiken, Teil 4 – Sprengung einer Brücke

Ich habe mir vorgenommen, in unregelmäßigen Abständen, kleine Beiträge über Taktiken auf Gruppen- und Zugebene zu schreiben. Dabei erhebe ich nicht den Anspruch die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, sondern ich stütze mich auf die vorhandene Literatur, stelle diese bildlich dar und gebe noch meine eigene Meinung hinzu. Der heutige Beitrag stützt sich auf das Buch “Kampfbeispiele”, Band 2, welches von dem Autor Major H. von Dach erstellt wurde.

10. Mai 1940

Die Vorausabteilung der 7. Panzerdivision greift weiter Richtung Westen an. Die Brücken über die Maas ab dem 10. Mai 1940 durch ein verstärktes Bataillon belgischer Ardennenjäger verteidigt. Der Gefechtsabschnitt ist ca. 20km Breit. Die Teileinheiten des Bataillons haben den Auftrag die Brücken über die Maas zu sichern und notfalls bei überlegenem Feind zu sprengen.

Die hier betrachtete Brücke von Yvoir hat eine länge von rund 100m mit einer Fahrbahn 5m über dem Wasserspiegel. Sie wird verteidigt von Teilen der 3./JgBtl 1. Lt Foucart befehligt einen JgZg, verstärkt durch 1 JgGrp, 2 MgGrp und einer PAK-Grp, sowie einer Sappeurgruppe (Pioniere) welche die Brückensprengung vorbereiten und durchführen soll.

Die Bewaffnung ist auf dem Stand der Technik und von hervorragender Qualität:

  • Maschinenpistolen vom Typ “Schmeißer”
  • Gewehr Modell 98
  • lMG Modell 30
  • Granatwerfer Modell DBT
  • MG “Maxim”
  • PAK im Kaliber 4,7cm mit einer Panzerdurchschlagsleistung von 4cm Panzerstahl bei einer Distanz von 1km

Die Belgier richten sich am 10. Mai 1940 zur Verteidigung am Westufer ein. Ein Betonunterstand mit Anbauten dienst als ZgGefStd und Unterkunft. Die Elektrozündstelle wird ebenfalls im Betonunterstand (rote Leitung) eingerichtet, da dort der beste Blick auf die Brücke geworfen werden kann. Der seitliche Anbau dient als Wachlokal und enthält eine pyrotechnische Zündung (gelbe Leitung) falls die elektrische nicht funktioniert.

Die PAK wird zentral vor der Brücke positioniert und ein Panzerhindernis wird vorbereitet. Mit ihm soll im letzten Moment die Brückenfahrbahn gesperrt werden.

Am Nachmittag des 10. Mai erscheint die 2. Kompanie des 129. französischen Mot InfRgt an der Brücke von Yvoir auf und will die Brückensicherung übernehmen. Lt Foucart lehnt dies ab. Man vereinbart einen gemeinsamen Plan zur Sicherung, bei der die Belgier zentral vor der Brücke verbleiben und die französischen Kräfte sich im Raum verteilen.

Ausgangslage

Während die Belgier und die Franzosen ihren Schwerpunkt an der Brücke bilden, befindet sich jeweils ein weiterer Zug der Franzosen im Norden auf einer Insel der Maas und an einer Weggabelung, bei der auch mehrere Mörser positioniert werden.

Ausgangslage an der Brücke von Yvoir

Südlich der belgischen Kräfte positionierten die Franzosen eine zusätzliche PAK im Kaliber 2,5cm und 2 weitere Maschinengewehre.

11. Mai 1940

Während die Verteidiger ihre Stellungen weiter ausbauen passieren Flüchtlinge die Brücke über die Maas. Menschen, Nutzvieh und Fahrzeuge aller Art drängen sich über die Brücke. Es muss ein jammervoller Anblick gewesen sein, den belgischen Ardennenjägern ging der Anblick ans Herz.

Unregelmäßig tauchen ausweichende Truppenteile auf und überwinden die Maas über die Brücke von Yvoir.

Währenddessen überwindet die Vorausabteilung der 7. Panzerdivision den Widerstand und die umfangreiche Zerstörung der Belgier und erreicht offenes Gelände. Ein schneller Vorstoß wird durch einen höheren Befehl jedoch verhindert.

12. Mai 1940

Den Belgiern fehlt es an präzisen Nachrichten vom Geschehen auf dem Ostufer. Plötzlich erscheint ein deutsches Flugzeug am Himmel und beschießt die Brücke im Tiefflug. Alles eilt in Deckung.

Keiner wurde verletzt. Lt Foucart entschließt sich die Panzersperren zu schließen. Einige Soldaten nehmen sich dem Auftrag an und gehen vor zur Brücke.

Die Panzersperre wird geschlossen.

“Ils sont là!”

Während die Soldaten die Panzersperre auf der Brücke positionieren wollen erkennt ein Soldat am Ende der Brücke den Feind. Unmittelbar auf den Aufschrei des Soldaten übertönt berstendes Krachen eines Panzergeschosses die Szenerie. Die Verteidiger werden komplett überrascht. Im Unterstand will der Sappeurleutnant die Brücke mit dem elektrischen Zündapparat sprengen, damit sie dem Feind nicht in die Hände fällt. Hektisch betätigt er die Auslösung, doch es passiert nichts. Vermutlich hat der Straßenverkehr oder Tieffliegerbeschuss die elektrische Zündleitung beschädigt.

Der belgische PAK-Unteroffizier hat, genau wie alle anderen, zuerst Schutz gesucht. Doch nun ist er der erste der aufspringt und zu seinem Geschütz sprintet. Kpl Desmeth lädt eine Panzergranate, zielt und wartet. Beide Gegner sind nun weniger als 100m voneinander entfernt. Das nun folgende Duell wird Geschichte schreiben und über das Schicksal der Brücke entscheiden. Der deutsche Panzerspähwagen feuert zuerst, aber die Granate schlägt hinter der PAK im Haus ein. Desmeth atmet kontrolliert aus und betätigt den Abzug. Eine Panzergranate im Kaliber 4,5cm trifft das deutsche Fahrzeug frontal, durchschlägt die Panzerung, tötet den Fahrer und landet im Motor. Schwarzer Rauch umhüllt das Fahrzeug, dass nun die Brücke blockiert. Der Handstreich auf die Brücke ist gescheitert. Der Turm des Spähwagens ist noch intakt und feuert unbeirrt weiter, doch nach drei weiteren Granaten besiegelt die belgische PAK das Schicksal der deutschen Besatzung.

Die belgische PAK besiegelt das Schicksal des Spähwagens

Mittlerweile ist ein deutscher Panzer an der Brücke angekommen. Zwei Panzersoldaten verlassen bewaffnet mit einer Drahtzange den Schutz des Panzerstahls um das Zündkabel zu durchschneiden. Die PAK und alle restlichen Soldaten eröffnen sofort das Feuer.

Die Schüsse gehen rechts und links daneben. Sollten die Deutschen nun doch noch die Brücke erobern?

Plötzlich ertönt eine ungeheure Detonation und eine dichte Quellwolke legt sich über den Fluß. Brückentrümmer schlagen rechts und links neben den Soldaten ein. Einige werden getroffen und bleiben reglos liegen.

Die PAK-Bediener, welche mittlerweile ihrem Unteroffizier zur Hilfe geeilt sind schmiegen sich an den Schutzschild des Geschützes. Ein mächtiger Trümmerblock landet direkt hinter ihnen. Langsam legt sich der Rauch. Kpl Desmeth begutachtet die Lage. Nur wenige Meter hinter ihm liegt der Sappeurleutnant leblos mit rauchgeschwärztem Gesicht. Niemand weiß was genau passiert ist, doch ist der junge Leutnant vermutlich zur pyrotechnischen Anzündvorrichtung geeilt um die Brücke zu sprengen, nachdem die elektrische Vorrichtung versagt hat.

Die vernichteten deutschen Fahrzeuge auf dem Grund des Flusses

Die 2m lange Zeitzündschnur hatte eine Brenndauer von 3 Minuten. Vermutlich initiierte er die Vorrichtung und wollte die Besatzung der PAK, die Soldaten, welche am nächsten an der Brücke waren, warnen. Leider kam er nicht rechtzeitig und verstarb.

Bis in die Dämmerung liefern sich belgische und französische Soldaten mit den Deutschen Panzern ein Gefecht über den Fluß. Mit den letzten Sonnenstrahlen verstummen die letzten Waffen. In der Nacht trifft für die Belgier der Rückzugsbefehl ein. Der Rest ist Geschichte.

Lehren

Auf die verwendete Sprengtechnik werde ich jetzt nicht weiter eingehen, das ist das Handwerk der Pioniere und genau da soll es auch bleiben. Die Verwendung von zwei unabhängigen Zündleitungen hat sich offensichtlich jedoch aus sinnvoll erwiesen.

Persönlicher Einsatz der militärischen Führer

In dem geschilderten Beispiel haben zwei militärische Führer die Initiative ergriffen statt die dafür eingeteilten Soldaten:

  • der PAK-Unteroffizier schießt das Spitzenfahrzeug ab und nicht der dafür eingeteilte Richtschütze
  • Der Sappeurleutnant sprengt die Brücke und nicht die dafür vorgesehene Mannschaft

Der Krieg hat in vielen Situationen gezeigt, dass die militärischen Führer nicht nur “Führer”, sondern auch “Vorkämpfer” sind und durch ihr persönliches Zupacken die Situation meistern. Das militärische Handwerk muss bei jedem sitzen!

Sicherung

Der belgische Zugführer entschied sich alle Kräfte auf dem Westufer zu bündeln. Dies ermöglichte dem Zugführer eine einfache Organisation seiner Kräfte, da sie nicht durch einen großen Fluß voneinander getrennt werden. Das Beispiel zeigt jedoch den offensichtlichen Nachteil: angreifende feindliche Kräfte können die Verteidiger überraschen und haben eine Seite der Brücke direkt in eigener Hand. Nur reines Glück hat verhindert, dass die deutschen Panzersoldaten die Zündleitungen nicht rechtzeitig durchtrennt haben. Dies lässt sich zwar durch eine alternative Verlegung der Leitungen vehindern, doch werden die Angreifer trotzdem überrascht. Eine alternative Herangehensweise wäre:

  • Ein Alarmposten in die Ortschaft Yvoir mit Blick ins Vorgelände,
  • eine Grp mit schnell nutzbaren Sperrmöglichkeiten auf die Ostseite der Brücke und
  • Schwerpunkt der Verteidigung, inklusive PAK, auf das Westufer, wie es bereits hier durchgeführt wurde.

Diese Gliederung ermöglicht den Verteidigern zudem ein Kontrollieren der passierenden Truppen und Zivilisten um den verdeckten Einsatz von Kommandokräften oder einzelnen Saboteuren zu verhindern.

Der Kampf um die Brücke von Yvoir stellt eine zu vernachlässigende Randnotiz des 2. Weltkriegs dar, doch kann jeder einzelne daraus seine persönlichen Lehren für die eigene Ausbildung in der aktuellen Zeit ziehen.

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